Der Cybathlon 2024 steht vor der Tür und das Newcomer-Team RISE der TU Berlin arbeitet mit Hochdruck an der Finalisierung seines Exoskeletts für Paraplegiker: Ein aktueller Blick auf den Fortschritt, Herausforderungen und die Zusammenarbeit mit Partnern.
Normalerweise jagen Hockeyspieler den Puck über das Eis in der Swiss Arena in Kloten, Kanton Zürich in der Schweiz. Doch vom 25. bis 27. Oktober verwandelt sie sich wieder in ein Zentrum für technologische Innovation: Der Cybathlon 2024 steht an.
Bei dem internationalen Wettkampf der ETH Zürich messen sich Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen in alltagsrelevanten Disziplinen, unterstützt von Hightech-Assistenzsystemen. 77 Teams aus aller Welt haben sich in diesem Jahr angemeldet. Das Team RISE (Research and Innovation in Student Exoskeleton Development) der Technischen Universität Berlin tritt erstmals mit seinem Exoskelett an.
140 Studierende an Exoskelett beteiligt
„Der Cybathlon war immer der Traum! Im Oktober 2022 haben wir dann gemeinsam mit der studentischen Initiative ‚Sozial Engagierte Ingenieur*innen‘ RISE als praxisnahes Modul an der TU Berlin gestartet, um querschnittgelähmten Menschen das Aufstehen und Gehen zu ermöglichen“, erzählt Lukas Schneidewind, Teamleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Medizintechnik des Instituts für Maschinenkonstruktion und Systemtechnik an der TU Berlin.
Insgesamt 140 Studierende arbeiteten über vier Semester hinweg mit Begeisterung an der Entwicklung und Konstruktion eines robotischen Exoskeletts. Der Großteil der Mitglieder kommt aus den Ingenieurwissenschaften wie Maschinenbau, Elektrotechnik und Elektronik sowie Regelungstechnik und Simulation.
Aber auch nicht-technische Kenntnisse sind gefragt: Von Biomechanik über User Interface und User Experience, Design, psychologischen Aspekten, Sponsoring-Akquise bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit.
„Transdisziplinäre Arbeit ist bereichernd“
„Durch die Projektwerkstatt können wir aus dem sehr fokussierten Lehrbetrieb der Uni ausbrechen und transdisziplinär arbeiten – genau wie später im Berufsleben“, sagt Magnus Meyer, Co-Leiter des RISE-Teams und Human Factors Masterstudent an der TU Berlin. Interdisziplinäres Denken ist im Falle des Exoskeletts aus einem weiteren Grund relevant, schließlich wird der Mensch direkt mit der Maschine verbunden. Die Interaktion mit den querschnittgelähmten Piloten bezeichnet Meyer als Highlight, da das Team direktes Feedback zu Nutzerfreundlichkeit und Praktikabilität seiner Entwicklung erhält.
Direkte Mensch-Maschine-Interaktion
In Gesprächen mit Unternehmen und potenziellen Partnern aus der Industrie stellten die Studierenden schnell fest: „Das Feld der Anwendungen eines Exoskeletts ist sehr vielseitig. Viele assoziieren Exoskelette häufig mit Arbeitserleichterung, etwa zur Rückenentlastung von Mitarbeitenden an Produktionsbändern, welche den Bewegungen der Nutzenden folgen. In unserem Fall fungiert es aber nicht nur entlastend, sondern ersetzt als angetriebene Orthese vollständig die Muskelkraft der Beine (Hüfte, Knie und Sprunggelenksmuskulatur) und führt die Gliedmaßen entsprechend in einer ergonomischen Bewegung“, erläutert Meyer. „Dass sich die technischen Anforderungen an ein solches System, mit dem Paraplegiker*innen mobilisiert werden, sehr stark von anderen Systemen unterscheiden, war und ist bis heute eine große Kommunikationsaufgabe“, ergänzt Schneidewind.
Eine weitere Herausforderung für das Team ist es, stets die geeigneten technischen Anforderungen an das System mit den Erkenntnissen aus den Trainings zu aktualisieren. Klar ist, um die natürliche Gehbewegung mit einem Exoskelett optimal nachzubilden und den Schwerpunkt im Gehen kontrollieren zu können, braucht es entsprechend flache Getriebe und Motoren, die am Körper anliegen.
Spezielle Anforderungen an die Technik
In den Hüft- und Kniegelenken haben die Studierenden daher bürstenlose EC frameless Dynamique-Torque-Antriebe in den Baugrößen 65 und 85 mm von Maxon verbaut. Die BLDC Motor-Kits mit Innenläufertechnologie wurden speziell für sogenannte Robot Joints entwickelt, also Gelenke im Robotik-Umfeld. Sie sind besonders leistungsstark, robust und kompakt.
„Wir liefern diese neuen Antriebe ohne Kugellager aus, der Anwender lagert die Rotor- und Statoreinheit selbst. Zudem erzielt der Antrieb hohe Drehmomente von bis zu 300 Nm, was kurzzeitig erforderlich ist, wenn der Mensch kniet oder hohe Stufen steigt. Damit ist er perfekt geeignet für die Anwendung im Cybathlon“, erklärt Falko Simon, Area Sales Manager bei Maxon.
Eine Besonderheit ist außerdem, dass die Maxon Motoren und die Getriebe des Herstellers Ovalo, einer Tochter von Nabtesco Europe, eine Einheit bilden. „Die Getriebe haben eine sogenannte Pancake-Form und wir haben unsere DT-Antriebe in die Getriebe integriert. Das Ganze ist quasi ein Produkt, womit wir eine äußerst flache Einheit geschaffen haben“, führt Simon aus. „Durch die offene und partnerschaftliche Atmosphäre haben wir innerhalb von wenigen Wochen pragmatisch Lösungen finden können“, bestärkt Schneidewind. „Die Studierenden waren zudem sehr wissbegierig auf unser Know-how als Industriepartner, das hat Spaß gemacht“, blickt Simon zurück.
Zukunftsperspektive: Gehstützenfreies Exoskelett
Derzeit stecken die Studierenden in den letzten Zügen der Software-Implementierung und Anpassungen der einzelnen Bewegungsmuster, bevor die finalen Trainings mit den beiden Piloten für den Cybathlon starten. Mit Blick auf die Zukunft hat Teamleiter Schneidewind bereits konkrete Ziele: „Wir haben jetzt eine erste Basis, langfristig können wir aber definitiv noch downsizen. Aktuell ist das Exoskelett mit circa 80 kg ein sehr schweres System, dafür ist es beispielsweise mühelos möglich auf eine hohe Stufe zu steigen. Bestehende Systeme können das nicht, ohne sich zusätzlich festzuhalten. Gehstützenfreies Arbeiten ist das große Ziel. Aber jetzt freuen wir uns erstmal auf den Cybathlon: Wenn wir einen Teil der Aufgaben bestreiten können, haben wir bereits einen Riesenerfolg erzielt – und das innerhalb von zwei Jahren, wohingegen andere Teams schon seit über zehn Jahren dabei sind.“
Autorin: Nora Nuissl, externe Redakteurin im Auftrag von Maxon
Quelle: Maxon
Bilder: Produktbild des Motors: Maxon; übrige Bilder: TU Berlin und Christian Kielmann (www.herr-kielmann.de)